Pest und Cholera
"Wie entscheidest du dich, wenn du dich zwischen Pest und Cholera entscheiden musst?" Am Horizont lädt ein Armbrustschütze einen neuen Bolzen.
"Du entscheidest dich für das, womit du besser leben kannst." Seine Antwort ist so einfach wie klar.
Ich setze kurz an um zu sprechen, hebe meine Hand und öffne meinen Mund. Halte inne. Ein Bolzen fliegt unbemerkt an meinem Kopf vorbei.
Er setzt sich zu mir, so dass wir Seite an Seite sitzen. "Es ist keine einfache Situation."
"Nein", schüttele ich den Kopf und wünsche mir zumindest in Teilen keine Entscheidung treffen zu müssen.
Er malt einen Kreis auf den Tisch. Dreht mit seinem Finger Runde um Runde. "Du weißt, dass wir immer Entscheidungen treffen müssen."
"Ja", entgegne ich und blicke andächtig auf seine Kreisbewegungen.
"Findest du es nicht auch bemerkenswert, welche Unterschieden wir Menschen diesbezüglich machen. Wir überlegen uns - im besten Fall - wo wir wohnen, mit wem wir leben und wo wir arbeiten. Aber was ist mit all den kleinen Entscheidungen, die sich aufsummieren. Ob, und wenn ja, wie, ich bei rot über die Ampel gehe. Wie ich meine Füße voreinander setze beziehungsweise ob ich mich überhaupt bewege. Ob ich meinem Gegenüber ausweiche oder in Kauf nehme angerempelt zu werden."
"Hilft dir das gerade weiter?"
Ich könnte seine Frage hinterfragen. Ich antworte: "Nein."
"Du simulierst gerade wieder jedmögliches Szenario, oder?"
Ich nicke. "Aber es fühlt sich anders an als früher. Echter."
"Und führt dich zu welchem Ergebnis?"
"Da sein", schaue ich zu ihm. "Im Moment sein und schauen, womit ich besser leben kann."
Die Armbrustschützen senken ihre Waffen. Zumindest für den Moment.
Buch: Das lebende Buch
Geschichten: Tür des Universums, Besserkönner
Personen: Er
Tags: #leben #entscheidungen #beziehungen #verzicht