Jahresrückblick

"Wie schaust du eigentlich auf dieses Jahr zurück?", fragt er mich.
Ich schaue ihn ein wenig verdutzt an, war es einige Jahre her, dass wir uns mit der Frage beschäftigt hatten.
Erwartungsvoll blickt er zu mir hinüber. "Also ich", durchbricht er den Moment der Stille, "fand es ein gutes Jahr."
"Du siehst ja immer nur das Gute", entgegne ich ihm und lache.
"Irgendjemand muss ja dein Gleichgewicht bilden, Grumpy."

Es war das erste Mal, dass er mich Grumpy nannte. Im Arbeitsumfeld hatte ich schon häufiger Grinch, zumindest zur Weihnachtszeit, gehört und ließ ich mir von Fremden ungern in die Karten schauen, was regelmäßig zu Fehleinschätzungen führte.

"Grumpy?", sage ich in dem pseudoempörten Ton des "Bitte?" einer vergangenen Freundin, was mich kurz hineinschauen lässt.
"Ja, Grumpy." Da wir beide wussten, wie es gemeint war, fuhr er fort. "Also Grumpy, wie war dein Jahr?"

Ich drehe mich um und schaue zurück auf 2024. Ich setze an für einen Schnelldurchlauf, in dem ich mit links jeden einzelnen Monat sekundenweise durchwische, und halte inne. Mit einer langsamen Bewegung meiner ganzen Hand schiebe ich den Monat Januar vor mein inneres Auge.

Was war hier wichtig? frage ich mich. Ich finde es wichtig, nicht nach gut oder schlecht zu unterscheiden, sondern nach Bedeutsamkeit. Für Januar und Februar finde ich keine intuitive Antwort, wenngleich der spätere Blick in den Kalender Erinnerungen ergänzen wird. März, April, Mai. Monat für Monat gehe ich durch und schaue nach den zwei, drei relevanten Momenten, die es jeweils gab. Oktober, November, Dezember. Ich schaue zurück und schließe das Jahr ab.

"Und?"
"Mein Schwert", sage ich und muss mir ein Lachen verkneifen.
"Dein Schwert?" Er schaut mich ein wenig ungläubig an bei dem Gedanken, dass das meines Jahreszusammenfassung sei. Von mir, der bei profanen Überlegungen immer eine ausdifferenzierte Flipchart malen könnte und manchmal auch muss. Neuerdings auch ein wenig lesbarer als im letzten Jahr.

"Ja", nicke ich mehr zu mir als zu ihm. "Auf ihm baut alles Wesentliche auf. Es ist das zentrale Element des Jahres. Mit ihm lässt sich alles verbinden. Auch im kommenden Jahr."

Damit war für 2024 alles gesagt.