Ikarus
"Na mein Kleiner, fliegst du wieder einmal ein wenig nah an die Sonne", fragt er mich, mehr neugierig denn besorgt.
Ich schaue andächtig zu Boden und erinnere mich an die Zeit, wo ich mich voller Unachtsamkeit und Überschwang habe tragen lassen. In der ich die Felsen in meiner Flugbahn sah, aber nicht habe kommen sehen. In denen mein eigener Absturz erstrebenswerter war als das Risiko, den Gegenüber aufzufangen oder mich greifen zu lassen.
"Ich verstehe, dass es so wirken kann", entgegne ich ihm, "und dennoch ist dem nicht so."
Ich öffne meine linke Hand, in der eine strahlende Lichtkugel erscheint. Sie pulsiert in allen Schattierungen des Lebens.
"Wie soll ich mich an der Sonne verbrennen, wenn ich sie in mir trage? Versteh' mich bitte nicht falsch", sage ich ihm, "natürlich ist es möglich, dass ich mich an ihr verbrenne. Aber was für einen Unterschied würde dies machen?"
Ich zeige ihm das Licht in meiner Hand und er schaut mich an. Sein Blick sucht meine Augen und wir spiegeln uns in Sekundenbruchteilen unzählige Iterationen.
"Keinen", entgegnet er, "keinen."
Buch: Das lebende Buch
Geschichten:
Personen: Er, Qube
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